Julia Becker und Nora Marx

40 Jahre BILD der FRAU: Interview mit den FUNKE-Gesellschafterinnen Julia Becker und Nora Marx

Seit fünf Jahren ist Julia Becker (50, l.) Aufsichtsratsvorsitzende, ihre Schwester Nora Marx (48) Gesellschafterin von FUNKE. In der BILD der FRAU-Ausgabe zum 40. Jubiläum sprechen starke Frauen über starke Frauen:

Liebe Frau Becker, liebe Frau Marx: In diesem Jahr feiert BILD der FRAU ihren 40. Geburtstag und 40 Jahre Marktführerschaft. Das ist eine Gratulation wert, oder?

Julia Becker: Das ist ein großartiger Geburtstag! Ich finde, 40 ist für jede Frau eine tolle Zahl – weil man raus ist aus den Orientierungsphasen. Mit 40 kann man souverän zurückschauen, BILD der FRAU besonders: So lange unangefochten in der Poleposition – eine Glanzleistung.

Nora Marx: 40 Jahre Frauenpower, genau. BILD der FRAU hat ihre Leserinnen immer in allen Lebensbereichen beraten und unterstützt, mit Ideen und Geschichten inspiriert. Darum sind Frauenmagazine ja so unglaublich wertvoll: Es geht um den weiblichen Blick auf die Gesellschaft – im Magazin wie im Digitalen.

Liegt die BILD der FRAU jede Woche neu auch bei Ihnen zu Hause?

Nora Marx: Bei unserer Mutter auf dem Küchentisch, natürlich! Wir lesen sie alle drei regelmäßig.

Sie sind nicht nur verantwortlich für BILD der FRAU. Sondern für 40 Zeitschriften, 12 Zeitungen, unzählige Websites … Mit welchem Gefühl wachen Sie morgens auf: Stolz oder Last?

Julia Becker: Sicher beides. Gerade wenn Dinge passieren, auf die man keinen Einfluss hat, wiegt die Verantwortung schwer. Wie die Pandemie oder der Krieg in der Ukraine mit all seinen Folgen, die auch die Medienbranche mit Wucht getroffen haben. Da Lösungen zu finden, Arbeitsplätze zu sichern, das Unternehmen zukunftsfähig zu machen – ist schon eine Herausforderung. Aber ich nehme die gerne an, denn wir haben als Medienunternehmen eine große Bedeutung, wir sind systemrelevant: Das ist für mich eine Riesenmotivation. Ich hatte noch keinen Tag, wo ich dachte: Ach, vielleicht wäre ein Blumengeschäft doch besser gewesen …

Nora Marx: Genau. Mich macht es stolz und dankbar, Teil dieses Unternehmens und Teil dieser Familie zu sein. Und das Schöne ist ja auch, dass wir das alles nicht allein schultern müssen. Wir sind zu viert, mit unserem älteren Bruder und unserer Mutter. Und wir haben großartige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ohne die es FUNKE gar nicht geben würde!

Sie sind in der obersten Führungsetage angekommen, das gilt längst nicht für alle Frauen, die da hinwollen. Was haben Sie auf dem Weg erlebt – auch an Machosprüchen?

Julia Becker: Es gab schon merkwürdige Situationen. Als neue Aufsichtsratsvorsitzende habe ich zum Beispiel mal ein anderes großes Medienunternehmen besucht. Der CEO lud mich zum Mittagessen ein und wir saßen uns dann ganz allein an einem wahnsinnig langen Tisch gegenüber. Dieser bewusst inszenierte Abstand, Berührungsängste – da wurde mir klar: Man wusste mich als Frau, als Verlegerin in keine Schublade zu packen. Aber das ist ja auch eine Chance! Und Sprüche wie „Toll sehen Sie aus!“ – die finde ich nicht schlimm und es auch nicht übergriffig, wenn mir im Flugzeug ein Mann den Koffer aus der Gepäckablage holt. Klar, es gibt Männer in der Branche, die ein Problem mit mir und meiner Position haben. Aber es ist nicht meine Aufgabe, solchen Männern zu erklären: „Haben Sie keine Angst vor starken Frauen!“

Was für eine Führungspersönlichkeit möchten Sie sein?

Julia Becker: Nahbar und offen. Keine Riesenchefräume hinter dicken Türen mit drei Vorzimmerdamen mehr, an denen man als Mitarbeiter vorbeimuss. Abschottung und Dominanz ist für mich ein Zeichen von Schwäche. Man muss auch respektieren können, wenn eine Frau sagt: „Ich bin hoch engagiert im Job, aber ich will nachts um zwei Uhr keine E-Mail bekommen.“

Was raten Sie Frauen, die in Zu-viel-Testosteron-Situationen geraten?

Nora Marx: Sich davon nicht beeindrucken zu lassen und das Problem pro-aktiv anzusprechen. Allerdings würde ich da nicht zwischen Frauen und Männern unterscheiden: Es gibt auch Frauen mit eingefahrenen Vorstellungen.

Julia Becker: Wir beide sind natürlich in einer privilegierten Lage – uns kann keiner rauswerfen. Ich verstehe jede Frau, die um ihren Job fürchtet, weil sie daheim zwei Kinder ernähren muss. Aber es kann nicht sein, dass eine Frau aus Angst vor Mobbing oder Repressalien zurücksteckt. Es muss in jedem Unternehmen die Chance geben, Machtmissbrauch anonym anzuzeigen.

Nora Marx: Und Eigentümer, Geschäftsführer, Führungskräfte müssen mehr denn je darauf achten: Wie werden Teams geführt, wie behandeln wir Frauen, aber zum Beispiel auch andere sexuelle Neigungen? Ich glaube, Machtmissbrauch ist nur dann möglich, wenn er von den Strukturen in einem Unternehmen fast schon mitgetragen wird und viele wegschauen.

Wollten Sie schon mal ein Mann sein?

Nora Marx: Einmal, auf der Autobahn-Raststätte (lacht). Nein, ich fühle mich wohl als Frau. Und ich glaube übrigens, dass auch Männer viele Probleme in der Gesellschaft haben, dass auch sie gegen Vorurteile kämpfen müssen. Denken Sie an Homosexuelle im Profi-Sport – kaum einer wagt es, sich zu outen …

Julia Becker: Ich bin auch in Bezug auf meine Aufgabe froh, eine Frau zu sein. Ich kann in Debatten die weibliche Perspektive einnehmen – die hat häufig gefehlt und sie ist oft die empathische. Es fällt mir leicht, mich in mein Gegenüber hineinzufühlen.

Wo sehen Sie noch typisch weibliche Stärken?

Julia Becker: Also, wenn man auf unsere Familiengeschichte schaut, dann waren es die Frauen, die das Familienerbe bewahrt haben – unsere Mutter vorneweg. Sie war jüngste von vier Schwestern und hat sich früh für die Firma interessiert. Ihr Vater ließ sie dann bei Redaktionssitzungen die Protokolle tippen. Auch nach seinem Tod blieb sie als Sekretärin, ist so immer mehr ins Unternehmen hineingewachsen. Das war weiblich klug! Sie war ja keine Journalistin, hatte nicht studiert, sie hat sich auf ihrem eigenen Weg eingebracht und dafür gesorgt, dass die Familienwerte weitergetragen werden. Später wurde sie dann Aufsichtsratsvorsitzende!

Nora Marx: Oft schütten Frauen Gräben wieder zu, die von Männern aufgerissen wurden – das ist eine weibliche Stärke. Vielleicht sind wir auch ein wenig beharrlicher, weil wir in der Geschichte immer wieder an Grenzen gestoßen sind. Aber pauschalisieren würde ich auch hier nicht.

Julia Becker: Stimmt, die Beharrlichkeit und das Verbindende zeichnen uns aus. Früher saßen die Frauen am Feuer im Kreis, die Männer sind mit der Keule raus. Viele Männer denken, sie müssen das heute noch so machen und bei Problemen einen Bestimmer wählen. Frauen sind gewohnt, Dinge miteinander zu besprechen, Aufgaben zu verteilen und idealerweise einen Konsens zu finden. Es geht ja nicht darum, wer der Bestimmer ist – sondern was die gemeinsame Lösung.

Frau Becker, Sie haben Ihre Mutter Petra Grotkamp angesprochen: Eine unglaublich starke Frau, die viel riskiert hat. Mut liegt bei Ihnen in der Familie?

Julia Becker: Wir sind im Ruhrgebiet groß geworden, da spricht man Klartext, hat das Visier oben, wenn’s Probleme gibt. So hat unsere Mutter es uns beigebracht: Sage, was dich stört – und heule nicht, wenn es Gegenwind gibt. Aber ist das mutig?

Finden wir schon.

Mutig sind die Frauen, die mit ihren Kindern aus der Heimat flüchten. Die ihren Mann verlassen, weil er sie prügelt. Die gegen Missstände kämpfen …

Wer ist Ihr Vorbild?

Nora Marx: Meine Mutter auf jeden Fall. Alle Frauen, die so konsequent ihren Weg gehen – und sich nicht von gesellschaftlichen Konventionen aufhalten lassen. Aber ich denke auch oft an meine Großmutter väterlicherseits, die im Krieg alles verloren hat, ihren Mann und ihr Zuhause. Sie konnte ihre Träume einfach nicht leben, wie sie wollte – aber hat nie ihren Mut verloren, immer gesagt: „Guck, da hinten wird der Himmel schon wieder hell.“
Julia Becker: Und wenn Sie nach Role Models fragen: Es gibt so viele Frauen, die wahnsinnig Beeindruckendes geleistet haben. Die Widerstandskämpferin Sophie Scholl, die Umweltschützerin Jane Goodall …aber eben auch die Krankenschwester, die drei Stunden länger bleibt, am Bett eines alten Menschen sitzt und zuhört. Das sind Vorbilder, die man nicht nur beklatschen, sondern besser bezahlen sollte.

Was bedeutet moderner Feminismus für Sie?

Julia Becker: Dass Frauen die Möglichkeit haben, wirklich frei darüber zu entscheiden, welchen Job sie machen, wann sie Kinder kriegen, ob sie sich vom Partner trennen
wollen … Die Chance auf eine freie Lebensgestaltung, ohne sich erklären zu müssen. So entsteht automatisch Gleichberechtigung. Und als Unternehmen haben wir da Rahmenbedingungen zu schaffen: Equal Pay, Kinderbetreuung, Homeoffice …

Nora Marx: Für mich ist Feminismus die Auflösung von Geschlechterrollen. Jeder Mensch muss ganz einfach das Recht auf Selbstbestimmung haben. Geschlecht oder sexuelle Orientierung dürfen keine Rolle spielen.

Sie haben selbst drei bzw. zwei Kinder – kennen Sie das Gefühl der Zerrissenheit zwischen Beruf und Familie?

Julia Becker: Wenn ich mich hinterfrage, kann ich sagen: Ich war und bin immer bei meinen drei Töchtern, wenn’s drauf ankommt. Ich könnte auch nicht rausgehen und die Verantwortung fürs Unternehmen tragen, wenn ich diese Zerrissenheit hätte. Aber man sagt ja, es braucht ein ganzes Dorf, ein Kind großzuziehen – und ich hatte dieses Dorf, ganz klar, ich habe es immer noch.

Nora Marx: Es ist auch eine Kopfsache mit dieser inneren Zerrissenheit. Ich war die ersten Jahre sehr für die Kinder da – und habe mich trotzdem abends gefragt: Bin ich allen gerecht geworden? Heute weiß ich: Hat man alles gegeben, ist das genug. Und wenn mal wer anders für die Kinder da ist, ist das auch gut. Oft genießen sie es sogar. Mit meinem Mann etwa erleben sie Dinge, die sie mit mir nicht erleben würden – weil er Sachen anders macht.

Apropos anders machen. Auch BILD der FRAU entwickelt sich. Wie sieht sie wohl in 40 Jahren aus?

Julia Becker: Sie ist immer noch die verlässliche Begleiterin und Ratgeberin der Frauen im Land – auch auf all den digitalen Kanälen, die wir jetzt noch gar nicht kennen. Sie wird weiter Frauen empowern wie mit der GOLDENEN BILD der FRAU oder gerade dem Frauengesundheitsgipfel. Ich wünsche mir, dass sie weiter und immer mehr
für alle Frauen da ist: Egal, wie alt, welche Haut- oder Haarfarbe, welches Gewicht … Dass sie eben das BILD der FRAU bleibt.

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